Pressespiegel

Premiere in der Schule für Schauspiel: „Ich rufe meine Brüder“
Von Kathrin Schwedler

SONY DSCFoto: Tom Gerngroß

WIESBADEN – „Ich rufe meine Brüder“ von dem 1978 in Stockholm geborenen Jonas Hassen Khemiri ist grandioses Schauspielfutter für vier Darsteller. Plot:
Die melodramatische Reise eines Studenten durch zwei Nächte und einen Tag in der schwedischen Hauptstadt. Eine Autobombe ist explodierte. Amor taumelt wie die „City“ zwischen Ausnahmezustand und verkrampfter Normalität. In Flashbacks mit seiner Cousine, einer vergeblich angebeteten Sandkastenfreundin, seiner verrückten Großmutter und seinem einzigen Freund Shavi entspinnt sich eine Biografie der großen Einsamkeit. Das ist von Khemir in schnellen und knappen Gesprächen und mit einer sich ständig steigernden Aggression getextet. Ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Zumal wenn man wie die „Wiesbadener Schule für Schauspiel“ ein exzellentes Quartett aufbietet. Regisseur Roni Merza reicht ein Bühnenbild mit vier Stühlen, vier Requisitenboxen und einem Overheadprojektor.

Knifflige Skandierungen

Die Story schlüssig zu erzählen gelingt scheinbar ohne Mühe. Knifflig sind nämlich die im Chor vorgetragenen Skandierungen, in denen eine anonyme Truppe Amor (oder uns?) Einflüsterungen macht, die in einer Anleitung zum Exzess enden. In diesen Passagen reicht der Einsatz von Guy-Fawkes-Masken und roboterhaften Bewegungen, um Drohpotenzial ins Bild zu bringen. Wobei es im Stück eigentlich vor allem um Liebe, und am Ende sogar um lebensrettende Freundschaft geht. David Földszin gibt seinem Amor die Statur eines autistischen Freaks mit seiner Passion für Chemie. Ein verpatzter Familienheld, der ständig an seine Grenzen stößt. Seine manische Liebe zu Valeria (Samatha Marino, fraulich freundlich bis zum Kollaps) erweist sich als gefährliche Sackgasse. Seine esoterische Cousine Amal (Sina Weiß, in grauer Latzhose und aggressiv selbstbenebelter Litanei) spürt ein Unheil kommen. Am Ende ist es aber der Jungvater Shavi, der sich sofort ins Auto setzt, um seinem Kumpel beizustehen.

Tom Gerngroß mit Pappi-Wampe und agiler Hip-Hopper-Power brilliert auf der Achterbahn zwischen Krawallbruder und Sugerdaddy. Weil es Autor Khemir auch um Politik geht, liegt wie Blei die Folie eines Überwachungsstaats, der alles Andersartige austilgen will, über allem. Wie viel Kontrolle zwischen Gesellschaft und Individuum muss in einer funktionierenden Demokratie sein, die diesen Namen verdient? Das ist derzeit in jeder Hinsicht die Frage aller Fragen.

 

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28.02.2014  – Wiesbadener Tagblatt

Schauspiel: „Nach dem Regen“ erzählt von der Bürohierarchie

Zwischen Himmel und Abgrund teilen die Büroangestellten auf der Hochhausplattform Zigaretten und Sehnsüchte.

WIESBADEN – (ker). Drei Jahre haben sie Schauspiel gepaukt. Als Abschlussinszenierung der „Wiesbadener Schule für Schauspiel“ hatte „Nach dem Regen“ im Georg-Buch-Haus Premiere. Fazit: unbedingt sehenswert! Das 1998 entstandene Achtpersonenstück des Spaniers Sergi Belbel spielt auf einer Hochhausplattform. Eine Art „closed room“ und gleichzeitig „Open Air“ Situation. Oben der Himmel, unten der Abgrund. Immer wieder kommen Angestellte einer Firma hierher.

Was sie vereint ist ihre Zigarettensucht und der beinharte Kampf um einen Platz in der Bürohierarchie. Der Barcelonese Belbel (Jahrgang 1963) verschmilzt typische Sitcom-Situationen Marke Ally McBeal und melodramatische Absurditäten im Stil der Kino-Ikone Pedro Almodóvar zu ergiebigem Schauspielfutter.

Das Einheitsbühnenbild ist ein mit der Spitze in den Zuschauerraum hinein ragendes Podest. Geländer, eine Tür, ein Lüftungsschacht. In der Regie von Schauspielschuldozent Martin Plass stürzen sich die Akteure mit Feuereifer auf ihre Figuren, die in jeder Konstellation und im Fortlauf des Stücks immer neue Facetten ihres Charakters zeigen können.

Den schwersten Part hat Lara Krause als unscheinbare Sekretärin. Vom Typ „Praktikantin“ in Jeans angelegt, die einen neurotischen Hang zum Fantasieren hat, steigt diese graue Maus unvermutet in die Konzernspitze auf. Das Magische der Figur bleibt textlich etwas unfassbar. Als smarter Loverboy steckt der Kurierfahrer Carlos Praetorius in seiner kreischfarbenen Radlermontur und versprüht burschenhafte Maskulinität Marke „Axe“.

Im etwas sehr burlesquen Kostüm, mit roter Perücke, und immer einen Tick zu stark unter Dampf, muss Larissa Robinson sich von manischer Esoterik zu erotisch befreiter Lässigkeit umpolen. Als Nerd mit Strickware und Brille führt Ferdinand Hieronymi den Computer-Klemmi vor, dessen private Harmoniesucht einen herben Schlag ins Kontor bekommt.

Demjan Duran zeichnet mit wenig Mitteln und anhaltender Feinnervigkeit einen Verwaltungschef, der von seiner Frau verlassen und jetzt komplett von der Rolle ist. Ein Zickenbeißen der besonderen Art liefern sich im zweiten Teil Tanja Landgraf als karrieregeile Direktorin und Kontrollfreak mit Malina Konstantinou, die im Büroteam die ewige Verliererin und der Fußabtreter für alle ist.

Neele Pettig brilliert in der Glanzrolle der hysterischen und oberblonden Zuckerpuppe. Ohne Stopptaste dauer-palavernd ist diese schmale Person mit ihren Highheels und hautengem Outfit eine fulminante Trago-Komödiantin. Das Publikum ging von Anfang an mit. Heiteres Gelächter zwischendurch und sogar am Ende, obwohl das Stück mit heftigen Wendungen aufwartet. Hingehen!

 

23.2.2013 – Wiesbadener Tagblatt
Absolventen der Wiesbadener Schauspielschule präsentieren Gorkis „Nachtasyl“
von Marianne Kreikenbom

Von einem leistungsstarken Jahrgang sprach Verena Plümer, Leiterin der Wiesbadener Schauspielschule, schon im Vorfeld ihrer Inszenierung von Maxim Gorkis „Nachtasyl“ mit den Absolventen der beiden diesjährigen Abschlussklassen. Die Premiere am Donnerstag im Theatersaal der Schule zeigte, wie Recht sie mit ihrem Urteil hatte. Die Schauspielschüler des fünften und sechsten Semesters waren genauso hinreißend gut wie die Inszenierung ihrer Dozentin und Regisseurin Verena Plümer.

In ihrer Bearbeitung wirkte das 1902 in Moskau uraufgeführte Werk des russischen Naturalisten Gorki derart frisch und glaubwürdig, dass es glatt als Gegenwartsstück durchgehen könnte, zumal das Thema des tiefen sozialen Abstiegs (wieder) aktuell ist.

Im Nachtasyl des Ehepaares Kostylew (Saskia Simunek, Firat Bender) begegnen sich Menschen, die auf der Strecke geblieben sind: eine bunte Gesellschaft von Gescheiterten. Da ist Nastja (Mareike May), die kitschige Liebesromane liest. Sie behauptet, eine große Liebe verloren zu haben und dadurch ins Elend gekommen zu sein, was niemand ihr glaubt. Dafür stammt ihr Freund (Sam Michelson), Baron genannt, tatsächlich aus gutem Hause und hat alles verspielt. Der arbeitslose Kleschtsch (Tom Gerngroß) hat seine Frau Anna (Magdalena Baltz) krank geprügelt. Der namenlose Schauspieler (Jan-Erik Hohl) ist ein Säufer. Wie zur Erinnerung an bessere Zeiten trägt er die Theaterperücke stets bei sich. Waska, der Dieb (Andreas Mendez), liebt Natascha (Sophia Anspach), die von Bubnow (Tobias Karn) heimlich verehrt. Satin (Petar Becker) ist ein Mörder und Falschspieler.

Der Ton im Asyl ist rau, aber nicht herzlich. Gemeinschaft existiert nur beim Saufen. Dem plötzlich auftauchenden Pilger und vermeintlich naiven Gutmenschen Luka (Adrian Kraege), diesem „Weichbrot für Zahnlose“, glauben Satin und Bubnow (fast) kein Wort. Luka verspricht der todkranken Anna ein besseres Leben im Jenseits, und dem Schauspieler erzählt er von einer Trinkerheilanstalt, die ihn kostenlos aufnähme. Luka sei ein Lügner, heißt es. „Einer müsse doch Mitleid haben“, verteidigt er sich und erzählt von einem Land der Gerechten. Er meint es gut und setzt ein Zeichen, dennoch endet die Geschichte blutig. Minutenlanger Beifall für ein junges großartiges Ensemble.

Luka (Adrian Kraege) tröstet Nastja (Mareike May) NACHTASYL- Probenfoto

(Foto: WSfS)

5.10.2012 – Wiesbaden
Die Ansteckung des Wahnsinns
von Nina Waßmundt
Wie absurd-komisch zwischenmenschliche Begegnungen sein können! Wäre man nicht Akteur, sondern Beobachter, müsste man lachen. Das veranschaulicht Botho Strauß mit seinen „Bagatellen“, 13 Mini-Dramen. Die Abschlussklasse der Wiesbadener Schule für Schauspiel hat sein Stück „7 Türen – Bagatellen“ aus den achtziger Jahren nun in eigener Regie auf die Bühne gebracht.

Es ist eine Aneinanderreihung von zusammenhangslosen Momentaufnahmen. Zwei Musikexperten streiten sich. Sie beschimpft ihn als „Wissensverlierer“, weil er nur Liszt kennt und nicht „Tristan und Isolde“. Zwei Autofanatiker treiben den Autoverkäufer mit ihren Ansprüchen in den Wahnsinn. Zwei Menschen, die sich Wichtiges zu sagen haben, reden komplett aneinander vorbei. Ein Parkwächter sucht Schutz durch einen Bodyguard. Ein Hochzeitspaar sitzt am Hochzeitsabend allein da, weil es so glücklich ist, dass es vergessen hat, Gäste einzuladen. Und der Höhepunkt des Abends: Ein Selbstmörder trifft auf das Nichts („Das Nichts ist durchschnittlich, langweilig, albern, nur nicht das große Nichts?“ – „Jeder bekommt das Nichts, das er verdient hat“).

7 Türen Logo

Strauß will den Zuschauer wohl fragen: Wenn schon das Leben eine absurde Aneinanderreihung von Missverständnissen und Nichtigkeiten ist, was gibt es dann „danach“ zu erwarten? Außerdem hält Strauß (mithilfe der Musikexperten und Autofanatiker) der Verbohrtheit von Menschen, ihrer Angewohnheit die Welt mit Scheuklappen zu sehen, einen Spiegel vor. In jeder der 13 Szenen treibt ein Verbohrter einen anderen in den Wahnsinn. Das Grundprinzip der Ansteckung des Wahnsinns.

Entgegen der Empfehlung des Autors zum Bühnenbild (7 Türen mit Milchglasscheiben), hat sich das zehnköpfige Ensemble für gut ausgeleuchtete weiße Holzkisten auf schwarzer Bühne entschieden. So schlicht zurücktretend lenkt es die volle Aufmerksamkeit auf die Essenz des Stücks: Sprachlich anspruchsvolle, kunstvolle Dialoge, vielschichtige Wortspielereien, die manchmal ins philosophisch Tiefgründige gehen, manchmal in unverständlichem Fachgeschwafel verhaften bleiben. Fast immer sind sie dabei abstrus und irre komisch. Keine dramaturgische Wucht, sondern eine sprachliche Kunst, die so anspruchsvoll ist, dass sie die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers verlangt.

Den Schauspielern gelingt es fast durchgängig, der Tiefe der Sprache nachzuspüren, das absurde Geplauder entlarvend leicht darzustellen, um auf die groteske Tragik der zwischenmenschlichen Begegnungen doppeldeutig und hinterhältig hinzuweisen. Das kommt der Textgrundlage von Botho Strauß ganz nah.Schauspielerisch glänzt Anna König als weißes Nichts. Mit betonter Leichtigkeit jongliert sie mit den Worten und unterstreicht so die eigentliche Tiefe des Textes über Leben und Tod. Cain van Cauwenbergh lässt als Bräutigam wie als „kinderblinder“ Geschäftsmann den Text besonders ausdrucksstark aufleben. „Selbstmörder“ Jan-Erik Hohl verkörpert mühelos die Ironie am langsam wachsenden Wahnsinn im Jenseits.
8.10.2011 – Wiesbaden
Reise in die Vergangenheit
SCHAUSPIELSCHULE Premiere von Neil LaButes „Some Girl(s)“
von Mariann Kreikenbom

„Some Girl(s)“ von Neil LaBute heißt die neue Eigenproduktion der Wiesbadener Schule für Schauspiel (WSfS), die im Georg-Buch-Haus ihre Premiere feierte. Das Besondere: Alles an dieser Inszenierung ist das Werk der Studenten des Abschlussjahrgangs, angefangen bei Dramaturgie und Regie bis zum Bühnenbild und den Entwürfen für Plakat und Programmheft. Chapeau – man kann nur den Hut ziehen vor der nunmehr vierten Eigenproduktion dieser Art, dem Mut zum Selbermachen genauso wie dem zum Selbermachen lassen des Leitungsduos der Schule, Verena Plümer und Martin Plass, die im Wechsel die Stücke aussuchen.
Das Stück des 1963 in Detroit geborenen Autors spielt in vier verschiedenen Hotelzimmern an vier verschiedenen Orten der USA. Ein nicht mit Namen genannter Mann Anfang dreißig (Daniel Schwingel) – Schriftsteller von Beruf und ganz offenbar Womanizer – begibt sich kurz vor seiner geplanten Hochzeit auf eine Reise in seine Vergangenheit. Er besucht die Orte seiner Studentenzeit und hat dort je eine Ex-Freundin um ein Treffen gebeten. Ihn treibt das Gefühl, bei jeder dieser vier Frauen irgendetwas wieder ins Lot bringen zu müssen.

Foto: Wiesbadener Tagblatt, Paul Müller
Begegnungen mit den Ex-Freundinnen: Der namenlose Mann (Daniel Schwingel) und die nur scheinbar muntere Tyler (Katarina Schmidt) in der Inszenierung der Schauspielschule. Foto: wita/Paul Müller

Da ist Sam (Maria Antonescu), die er mit dem zweifelhaften Kompliment konfrontiert, sie sei genau das geworden, was er sich immer gedacht habe: eine brave Ehefrau und Mutter. Nein, sie habe nichts falsch gemacht, glaubt der junge Mann ihr großzügig sagen zu müssen. „Danke!“, ruft Sam empört. Sie hatte ihre erste Liebe als eine Art Romeo-und-Julia-Geschichte in Erinnerung. „Lass uns Spaß haben“ fordert ihn die hübsche Tyler (Katharina Schmidt) zur Auffrischung der gemeinsam verbrachten sexuell stürmischen Collegezeit heraus. Doch hinter ihrer Munterkeit steckt auch Enttäuschung und Verletzlichkeit. Lindsay (Anna Neata), ein paar Jahre älter als er und schon damals verheiratet, fühlt sich verraten. Denn als ihre Affäre aufflog, verschwand er auf Nimmerwiedersehen. Auch Bobbie (Nuriye Arslanoglu), seine angeblich einzige große Liebe lässt ihn abblitzen. Dieser im Grunde leichtlebige, lässige, gebildete Mann begegnet seinen Ex-Freundinnen ebenso naiv wie rücksichtslos. Die Frauen setzen Selbstbewusstsein und Souveränität statt alte und neue Verzweiflung dagegen. In den mit Witz geschriebenen Dialogen entfaltet der Autor nach und nach sehr verschiedene Betrachtungsweisen jeweils ein und derselben Beziehung. Jede Rolle wird hier zu einer kleinen, bravourös gemeisterten Charakterstudie.
08.04.2011 – WIESBADEN
Auf dem Weg ins Rampenlicht
SCHAUSPIEL Wiesbadener Schule kooperiert mit dem Thalhaus
Von Anja Baumgart-Pietsch

„Wir würden uns wünschen, in Wiesbaden noch stärker wahrgenommen zu werden“, sagt Verena Plümer. Sie leitet gemeinsam mit ihrem Kollegen Martin Plass die „Wiesbadener Schule für Schauspiel“. Hier können sich jedes Jahr etwa sieben bis zehn junge Männer und Frauen zu Schauspielern ausbilden lassen – mit einer staatlichen Prüfung als Abschluss. Und mit guten Erfolgschancen: „Unsere Absolventen bestehen zu hundert Prozent das Vorsprechen bei der Zentralen Arbeitsvermittlung“, sagt Martin Plass. Dieses Vorsprechen ist Voraussetzung für die Aufnahme in die Kartei der Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit und somit für den Eintritt in den Arbeitsmarkt.

Denn eine Schauspielerkarriere hat meist nicht das Ziel Hollywood, wie vielleicht manche denken. Stattdessen sind die Absolventen der Wiesbadener Schule aber sehr erfolgreich an deutschen Bühnen oder im Fernsehen tätig. In Wiesbaden zeigen sie regelmäßig ihre Ausbildungsfortschritte in eigenen Inszenierungen – sowohl mit Regisseur als auch komplett selbst erarbeitet. Die Stücke sind in der Regel aber nur im Theaterraum der Schule, im Obergeschoss des Georg-Buch-Hauses, zu sehen.

In diesem Herbst gibt es erstmals eine Kooperation mit einer anderen Bühne: „Das Thalhaus ist auf uns zugekommen“, freut sich Verena Plümer, „im November können wir dort ein Stück zeigen“. Der Schritt in die Öffentlichkeit ist den beiden Leitern der Schauspielschule ein wichtiges Anliegen, nicht nur, um den Schülern möglichst oft und authentisch den Kontakt zum Publikum bieten zu können, damit sie ihre Fähigkeiten unter realen Bedingungen testen.

„Wir sind auch so selbstbewusst, zu sagen, dass wir für Wiesbadens kulturelle Szene eine Bereicherung darstellen können“, bekräftigt Martin Plass. Die Qualität der Ausbildung ist gut, die Absolventen sind gefragt. Umso mehr, als sich die Schauspielschule bemüht, ihren Lehrplan an die Arbeitsmarktbedingungen anzupassen: „Seit wir in den neuen Räumen in der Innenstadt arbeiten können, haben sich unsere Möglichkeiten erweitert“, sagt Plass. Man könne hier beispielsweise auch auf Tätigkeiten als Sprecher vorbereiten oder Kameraarbeit üben. Denn obwohl viele Schauspieler sowohl für Theater als auch Fernsehen arbeiten, liegt der Schwerpunkt in den offiziellen Lehrplänen meist auf den Bühnenfähigkeiten. „Für die Arbeit vor der Kamera sind aber ganz andere Dinge wichtig“, erklärt Martin Plass. „Man muss ,kleiner spielen‘ können als vor einem Theaterpublikum, sollte gewisse technische Details kennen, damit zurechtkommen, dass nicht immer chronologisch erzählt wird – es ist ein völlig anderes Arbeiten.“

Auch auf das Synchronsprechen und andere Sprechertätigkeiten geht man in der Ausbildung an der Wiesbadener Schule ein: Ein Tonstudio mit realen Arbeitsbedingungen ist vorhanden, so dass die Schauspielschüler beim Abschluss auch diese Fertigkeiten mitbringen. „Wir arbeiten daran, ein siebtes Aufbau-Semester auf die Beine zu stellen, das man nach der Prüfung noch absolvieren kann und das sich dann ganz gezielt mit der Arbeit vor der Kamera beschäftigt“, so Plass. Der Erfolg ihrer Absolventen gibt den Leitern der Schule recht: „Wir kommen kaum noch nach, alle Vorstellungen zu besuchen, in denen unsere Leute spielen“, freut sich Verena Plümer.

SCHAUSPIEL Wiesbadener Schule kooperiert mit dem Thalhaus

Viele Absolventen haben übrigens einen Migrationshintergrund und sind daher momentan gesuchte „Typen“ für Film und Fernsehen: Gerade hat beispielsweise Ali Murtaza, ein Absolvent aus dem Jahr 2008 mit pakistanischen Wurzeln, einen Film mit dem Titel „Homies“ abgedreht, in dem er neben Jimi Blue Ochsenknecht eine der Hauptrollen spielt. Daneben hat Murtaza aber auch einen Vertrag am Landestheater Castrop-Rauxel und spielt dort in „Heimat NRW“ – ein Stück nach einer Vorlage von Aristophanes – die Hauptrolle. Ein Beleg für die breit angelegte Ausbildung, die den Absolventen Chancen auf zahlreichen Feldern eröffnet.

Plass und Plümer haben aber auch noch andere Pläne, oder besser Wünsche, denn unter der gegenwärtigen finanziellen Situation ist die Umsetzung nicht einfach. „Wir würden gerne eine eigene regelmäßige Spielstätte betreiben“, sagt Martin Plass. Das könne Wiesbadens freie Theaterszene noch vertragen, und das Potenzial der Schüler biete die Möglichkeit. Immerhin sind schon jetzt pro Jahr drei bis vier Stücke zu sehen, die stets gut besucht sind.

Die Kooperation mit dem Thalhaus ist der erste Schritt nach außen. Doch auch sonst sind Schüler der Schule für Schauspiel sehr aktiv in Wiesbaden: „In fast jeder Folge von ,Ein Fall für zwei‘ sind Leute von uns zu sehen, da gibt es eine gute Kooperation mit Odeon-Film“, so Verena Plümer.

22.11.2010 – WIESBADEN
Drehen in der Endlosschleife
PREMIERE Abschlussklasse der Schule für Schauspiel zeigt „Kaspar Häuser Meer“
Von Christina Eickhorn

Überfordert, ängstlich, ausgebrannt. Ihre Arbeit können die drei Sozialarbeiterinnen vom Jugendamt kaum mehr bewältigen. Ihre verantwortungsvolle Arbeit. Immerhin geht es um das Wohl der Kinder, um Menschenleben. Ständig und ohne Unterlass erreichen sie Anzeigen von Nachbarn, die hinter den Wänden ihrer Wohnung wieder einmal merkwürdige Geräusche gehört haben. Und jedem Hinweis muss nachgegangen werden, dass ein unschuldiges Kind weiter vernachlässigt, misshandelt und missbraucht wird, darf nicht sein.

Aber wie? Wie sollen die drei chronisch überlasteten Frauen vom Amt diese Flut an Beschwerden und Missständen bearbeiten? Gerade jetzt, wo sich auch noch Kollege Björn mit einem Burn-Out-Syndrom krank gemeldet hat. Langsam aber sicher gehen die drei Frauen in der Flut von Arbeit und Verantwortung unter. Die erfahrene Barbara (gespielt von Greta Carl) flüchtet sich mehr und mehr in Fantasien von Reisen in ferne, menschenleere Länder, Silvia (Maria Antonescu) bleibt, angesichts der Tatsache, dass sie die liegengebliebenen Fälle von Björn niemals wird abarbeiten können, nur noch der Griff zur Flasche, und die junge Anika (Niuscha Etemadi) beginnt, niedergestreckt vom verzweifelten Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie, ihre eigene Tochter zu schlagen.

Durchdacht inszeniert wurde das sozialkritische Drama von der Abschlussklasse der Schule für Schauspiel. Alles geht drunter und drüber. Wortwörtlich. Denn die Schauspielerinnen spielen nicht nur auf, sondern auch unter der Bühne. Diese Bühne, die zu Beginn des Stücks noch brach und aufgeräumt daliegt, ist am Ende komplett verwüstet und spiegelt die innere Zerissenheit der Protagonistinnen eindrucksvoll wider. Auch unterstützt die rasante Sprache der Autorin Felicia Zeller den gehetzten Eindruck, den die drei Frauen vom Amt beim Zuschauer hinterlassen. Ihre Sprache ist brüchig, Sätze hören einfach auf oder drehen sich in einer Endlosschleife gnadenlos um sich selbst. Zuweilen ist das für den Zuschauer anstrengend, denn es wird schnell und meistens sehr laut gesprochen. Doch das verstörende Gefühl, das sich beim Besuch des Stücks – trotz einiger symphatisch inszenierter, komischer Einschübe – teilweise einstellt, ist vor dem Hintergrund der Geschichte, absolut berechtigt.

Felicia Zeller schrieb „Kasper Häuser Meer“ aus dem Anlass immer wiederkehrender Horrormeldungen in den Medien, die von verwarlost oder gar tot aufgefundenen Kindern berichteten. Und immer wieder tauchte in diesem Zusammenhang die Frage nach der Verantwortung der Jugendämter auf, die doch eigentlich davon hätten wissen und folglich etwas hätten unternehmen müssen. Doch Zellers Antwort auf diese Frage untergräbt das übliche Schwarz-Weiß-Denken und gewährt dem Zuschauer einen Blick hinter die Kulissen überlasteter und unterbesetzter Ämter und vor allem einen Blick hinter die Fassade dreier hilfloser und verzweifelter Frauen, die ihren Wunsch zu helfen nicht umsetzen können.

02.10.2010 – Wiesbadener Tagblatt
Rundum gelungen

SCHAUSPIELSCHULE Sartre-Stück erzeugt atemlose Spannung

(MaK). „Huis clos“ oder zu Deutsch „Bei geschlossenen Türen“ heißt im Original ein Theaterstück von Jean Paul Sartre (1905-1980), dem Hauptvertreter des französischen Existenzialismus. Bekannt ist es hierzulande unter dem Titel „Geschlossene Gesellschaft“. Das Drama in einem Akt gilt als eines der besten Stücke des Autors. In der Inszenierung von Martin Plass, der gemeinsam mit Dr. Verena Plümer die Wiesbadener Schauspielschule leitet, ist es derzeit in einer rundum gelungenen Aufführung der Abschlussklasse zu sehen.

„Geschlossene Gesellschaft“ ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Schon deshalb, weil es keine Handlung gibt, sondern „nur“ Worte in einem zermürbenden Kampf jeder gegen jeden. Ein Kammerspiel par excellence im doppelten Wortsinne, denn was sich hier abspielt, geschieht in einem Salon mit drei Sesseln bei tatsächlich verschlossener Tür. Entrinnen unmöglich.

Probenfoto
Alexander Bettendorf (Garcin), Marlene Zimmer (Estelle) und Jette Pook (Inés) als „Geschlossene Gesellschaft“. Foto: Wiesbadener Schule für Schauspiel/Martin Plass

Es ist ein Ort der Verdammnis, die Hölle also, in die ein Page (Daniel Schwingel) nacheinander einen Mann und zwei Frauen führt. Zuerst Garcin, den Journalisten und Literaten (Alexander Bettendorff), der auf seiner Flucht vor dem Krieg erschossen wurde und sich selbstquälerisch vorwirft, ein Feigling gewesen zu sein. Dann die lesbische Postangestellte Inés (Jette Pook), deren Geliebte klammheimlich den Gashahn aufdrehte, bevor sie sich zu Inés ins Bett legte. Und schließlich die reich verheiratete, oberflächliche, schöne Estelle (Marlene Zimmer), gestorben an einer Lungenentzündung. Estelle erfindet eine rührende Lebensgeschichte, um zu verdrängen, dass sie eine Kindsmörderin ist und ihren Geliebten in den Tod trieb. Alle drei wissen, dass sie verdammt sind, aber welche Höllenqualen auf sie warten, erfahren sie erst nach und nach. Kein Folterknecht, kein Schwefelgestank und kein Schmoren im Fegefeuer sind ihre Strafen. In auswegloser Situation durchleiden sie die Erfahrung, heillos einander ausgeliefert zu sein. Jeder quält jeden und wird selbst gequält, ist Täter und Opfer in einem. „Kein Rost erforderlich, die Hölle, das sind die andern“, spricht Garcin am Ende das berühmte Sartre-Fazit. Ein anspruchsvolles Stück, mit dem Regisseur und Darsteller in jeder Hinsicht überzeugen. Rund neunzig Minuten ohne Pause halten sie ihr Publikum in atemloser Spannung. (MaK).

27.05.2010 – Wiesbadener Tagblatt
Absurdes Theater auf dem Rummel
SCHAUSPIELSCHULE Premiere im Buch-Haus mit „Tod im Eierbecher“
Von Marianne Kreikenbom

Was,bitte schön, macht eine Lotterieunternehmerin, wenn ihr auf dem Rummelplatz aus heiterem Himmel ein Fastnachtsmerowinger in die Preise fällt und alle Eierbecher zerschlägt? Richtig, sie holt Sherlock Holmes und den Chef der Kripo. Dank der Aussage einer alkoholisierten Holzpferdeschweiffabrikantin und den Fähigkeiten der Besondershellseherin kommen die beiden der Karussellbesitzerin und verkappten Brünhilde bald auf die Schliche.
Wer jetzt denkt, das sei ja völlig absurd – der befindet sich ebenfalls auf der richtigen Spur. „Tod im Eierbecher oder: Jetzt, wo ich tot bin, brauche ich keine Szenen mehr zu befürchten“ ist der Titel eines von Wolfgang Packhäuser mit Wiesbadener Schauspielschülern frisch und fröhlich inszenierten Theaterabends für Liebhaber der Groteske.

Foto: RMB/Heiko Kubenka
Spaß an der Sache: Szene aus dem Stück.
Foto: RMB/Heiko Kubenka

Wer als Zuschauer gern etwas zu lachen hat, bis ihm der Atem stockt, dem sei dieser Abend mit den Minidramen des hierzulande fast unbekannten französischen Autors Pierre Henri Cami (1884-1958) dringend empfohlen. Auch weil die sämtlich mitwirkenden jüngeren Semester der Schule mit Verve zeigen, was sie drauf haben. Egal ob betrogener Verstorbener, eifersüchtiger Bauchredner, taubstumme Gattin oder junger Straßenkehrer mit Mutti, Waisenmädchen und Perlenauster – allen Mitspielern merkt man den Spaß an, mit dem sie ihre Talente aufblitzen lassen. Dietmar Barbatschi zudem auch als einfühlsamer Begleiter am Flügel.

In Cami darf man einen frühen Vertreter des absurden Theaters von überraschenden Nonsens- und Comedy-Qualitäten sehen. Haupt- und Nebenrollen der insgesamt sechs Minidramen hat Wolfgang Packhäuser mehrfach neu verteilt. Das gibt den Darstellern die Möglichkeit, sich in vielen Rollen auszuprobieren und macht das Ganze lebendig.

06.10.2009 – Wiesbadener Tagblatt
Keine “ Dichtung zum Auspfeifen“
PREMIERE “ Komödie ohne Titel“ von Federico Garcia Lorca in der Schauspielschule
Von Marianne Kreikenbom
Von den spanischen Dichtern der jüngeren Vergangenheit ist Federico Garcia Lorca (1898-1936) der wohl bekannteste. “ Komödie ohne Titel“ heißt ein Stück aus seinem Nachlass, das Verena Plümer mit Absolventen der Wiesbadener Schule für Schauspiel inszeniert hat.
Das Stück entstand Anfang der 1930er Jahre in einer politisch und sozial schwierigen Zeit. 1978 wurde es erstmals gedruckt und 1989 in Madrid uraufgeführt. Garcia Lorca spiele darin mit dem Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion, sagt Verena Plümer, die gemeinsam mit Martin Plass die Wiesbadener Schauspielschule leitet. Der Autor selbst habe den Einakter damals für nicht aufführbar gehalten. Es sei “ eine Dichtung zum Auspfeifen“ , meinte er im Zusammenhang mit seinem zeitgleich entstandenen und thematisch ähnlichen Stück “ Das Publikum“ .

Für die Aufführung in der Schauspielschule gilt die Behauptung ganz und gar nicht. Aufmerksam verfolgte das Publikum eine lebendig inszenierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob und in welchem Maß die Kunst ein Abbild des Lebens inklusive sozialer Ungerechtigkeit sein darf, kann oder muss. So nahtlos unterfüttert Regisseurin Verena Plümer das spanische Stück mit adaptierten Szenen aus Shakespeares “ Sommernachtstraum“ , dass es passt, wenn sich Helena (Franziska Kruse) und Hermia (Daniela Fonda) – angeheizt von Puck (Iris Hassenzahl) und Elfe (Maren Schwartz) – wegen Lysander und Demetrius in die Wolle kriegen und die Schauspielerin als Titania (Caroline Galimow) um dieGunst des Autors (Georg Metzler) buhlt.
Der Autor hatte zu Beginn des Spiels erklärt, er wolle kein Theater aufdie Bühne bringen, sondern die Wirklichkeit. Eine Absicht, die beim (bürgerlichen) Zuschauer (Roni Merza) nebst Ehefrau (Angela Hasak) auf wenig Gegenliebe stößt. “ Das einzige Gesetz des Theaters ist das Urteil des Zuschauers“ , apostrophiert “ der Zuschauer“ und geht. Schnell holt ihn die Realität ein: Auf der Straße wird geschossen, das Foyer ist voller Aufständiger. “ Es lebe die Revolution“ , ruft eine Stimme. Der Zuschauer greift zur Pistole.
Den Rollen liegen keine Individuen zugrunde, sondern Typisierungen im Dienste der Gedanken, was eine gewisse sachliche Distanz bewirkt. Im schwarzen Bühnenraum und fast ohne Szenenbild gelingt allen Beteiligten eine überzeugende Leistung.

Pressefoto Uwe Stolz, Wi.Tagblatt

30.06.2009 – Wiesbadener Tagblatt
Glücklich im Erdgeschoss
Schimmelpfennigs Duell um die 16. Etage / Professionelle Härte, private Schwäche
Von Anne Winkel

Geschafft. Drei Jahre Ausbildung liegen hinter der Abschlussklasse der Schauspielschule Wiesbaden. Jetzt führen die Absolventen Roland Schimmelpfennigs “ Push Up 1, 2, 3″ auf. Das junge Ensemble überzeugt mit ausdrucksstarker Mimik und starker Stimmführung.
Keine trägt Blau. Alle haben Sex. Denkt zumindest Sabine (Daniela Fonda). Die 28-Jährige hat es in der Firma weit gebracht und soll nun auf Empfehlung von Chef Kramer in die Zentrale nach Delhi. Der Weg über Indien führt direkt in den 16. Stock des Konzerngebäudes. Dort will jeder hin: Die engagierte Franka (Iris Hassenzahl), Workaholic Helen (Caroline Galimow), die kreative Patrizia (Lilly Oppenländer) und Aufsteiger Robert (Roni Merza).
Für den Karrieretraum geben die Protagonisten alles. Doch was bewegt sie wirklich? Durch einen Wechsel von Dialog und innerem Monolog erfährt der Zuschauer viel über das, was keiner zeigen will: Schwäche, Sehnsucht und Emotion.

Die Schauspieler machen den Spagat zwischen professioneller Härte und privater Schwäche erlebbar. Zunächst arrogant und unnahbar beginnt Melanie Fricke als Kramers Frau Angelika plötzlich zu schwitzen und zupft nervös an ihrem Kostümkragen. Lilly Oppenländer trägt in der Rolle der Patrizia mit kaltem Blick die Idee zu einem neuen Werbespot vor. Erst als sie an ihren Traum von einer Familie denkt, beginnen die Augen zu leuchten. Eindrucksvoll agiert außerdem Caroline Galimow. In Spiel und Sprache windet sie sich von Selbstüberhöhung zu Verzweiflung und endet schließlich in zunehmend verloren gehender Hoffnung.

Foto wita/Paul Müller
Karriere bekommt offensichtlich nicht jedem gut.
Foto: wita / Paul Müller

In ihre Rolle schlüpfen die Darsteller bereits vor der Aufführung. “ Machen Sie das zu“ , befiehlt die Firmeninhaberin vor dem Aufzug angesichts eines offenen Blusenknopfs ihrer Mitarbeiterin. Das Bühnenbild (Grafik: Elena Lange-Hermstädt, Videoinstallation: Sebastian Jacksteit) unterstreicht die herrschende Gefühlskälte.

An einem großen grauen Tisch stehen zwei Bürostühle mit seitlichem Zebramuster. Die Assoziation eines Gesetzes des Dschungels liegt nahe: Fressen und gefressen werden heißt es in der Firma. Ein Stuhl ist schwarz einer rot. Dazu passend präsentieren sich die Kostüme (verantwortlich: Despina Chalkidou) mit schwarzem Business-Look und roten Accessoires. Nur Sabine, die ohnehin um ihre Stelle fürchten muss, trägt Blau.

Im Stück von Schimmelpfennig, der zu den derzeit erfolgreichsten deutschen Dramaturgen zählt und seit 1999 an der Schaubühne Berlin arbeitet, scheinen schließlich nur die beiden Pförtner (in Doppelrollen: Iris Hassenzahl und Roni Merza) ihr Glück zu finden. Im Erdgeschoss der Firma. Ganz unten auf der Karriereleiter.

18.04.2009 – Wiesbadener Tagblatt
Die Fremde vom zugefrorenen See
Premiere der Schauspielschule: “ Die Eisvögel“
von Marianne Kreikenbom

Auf der Bühne der Wiesbadener Schule für Schauspiel hatte jetzt das Dreipersonenstück “ Die Eisvögel“ von Tine Rahel Völcker Premiere. Das Werk der Berliner Autorin kam Regisseur Martin Plass gerade recht für seine Inszenierung mit der Abschlussklasse, die aus nur drei Schülern besteht: Michelle Brubach, Elif Esmen und Gregor Müller.
Nach dreijähriger Ausbildung absolvieren sie Anfang Mai ihre Abschlussprüfung. Dass sie das Zeugnis der Bühnenreife erhalten, dürfte nach dieser Aufführung kaum jemand bezweifeln. Jedem einzeln und allen zusammen gelang ein bemerkenswertes und bis zur letzten Minute spannendes Kammerspiel, dessen Faszination und Potenzial sich ohne viele Worte entwickelt. Gerade deshalb steht und fällt es mit der schauspielerischen Leistung.

Foto:wita/Paul Müller
Gefangen in beklemmender Gegenwart: Gregor Müller als Karl und Michelle Brubach als Josi .Foto: wita/Paul Müller

In rasantem Tempo entfaltet sich auf der Bühne ein subtiles Eifersuchtsdrama mit Psycho-Effekt und explodierender Sex-and-Crime-Phantasy. Dabei fängt alles relativ harmlos an. Der nach eigener Aussage glücklich verheiratete Filmkomponist Karl (Gregor Müller) holt die sehr junge vermeintliche Selbstmörderin Josi (Michelle Brubach) vom dünnen Eis eines zugefrorenen Sees und nimmt sie mit in sein Haus am Waldrand. Nur für eine Nacht. Seine Frau Eva (Elif Esmen) beäugt die Fremde misstrauisch, aber akzeptiert die Übernachtung. Fragen will Josi nicht beantworten. Aber sie bleibt länger als eine Nacht. “ Ich habe mich eingenistet wie ein Floh“ , sagt sie und lächelt. Ein zerstörerisches Spiel nimmt seinen Lauf.
Michelle Brubach verleiht ihrer Josi eine Unbedarftheit und Undercover-Tragik, von der man nie richtig weiß, ob sie echt ist. Stimmig balanciert sie die Figur zwischen jugendlicher Schutzlosigkeit, provokantem Selbstbewusstsein und einer erotischer Anziehungskraft, der Karl erwartungsgemäß erliegt. Aber auch Eva ist Josi nicht gewachsen. Aufgestört aus einer bis dato zumindest äußerlich heilen Welt, zutiefst verletzt und verunsichert, reagiert sie hektisch mit Sex-Attacken und Machtspielchen. Karl macht alles mit.

Beschwört Autorin Völcker (Jahrgang 1979) die Unmöglichkeit zwischenmenschlicher Beziehungen? Zeigt sie, wozu wir imstande sind in unseren eigenen vier Wänden? Ihre Eisvögel-Figuren haben keine Vergangenheit und keine Zukunft, nur die Gegenwart einer scheußlichen Situation, in der alles offen bleibt.

Weitere Vorstellungen am 17. und 19. April sowie am 8., 10., 15. und 17. Mai jeweils um 20 Uhr in der Wellritzstraße 38. Kartenvorbestellung unter 0611 / 3349795.

14.04.2009 – Wiesbadener Kurier
Selbstzerstörerische Ménage-à-trois
“ Die Eisvögel“ von Tine Rahel Völcker in der Wiesbadener Schule für Schauspiel

WIESBADEN (red) . Ein Beziehungskrimi als psychologisches Kammerspiel: “ Die Eisvögel“ von Tine Rahel Völcker hat in der Wiesbadener Schule für Schauspiel in der Wellritzstraße 38 am Donnerstag Premiere.

Der Filmkomponist Karl (Gregor Müller) bringt eines Tages eine junge Frau von einem seiner abendlichen Spaziergänge mit ins gepflegte Haus im Wald. Er hat Josi (Michelle Brubach) vor dem Selbstmord bewahrt, als er sie von einem zugefrorenen See herunterquatschte. Seine Frau Eva (Elif Esmen), Managerin in einer Werbeagentur, erlaubt, dass sie die Nacht im Gästezimmer bleiben kann. Doch Josi zeigt kein großes Interesse, an der Situation etwas zu ändern, sondern nistet sich bei Karl und Eva häuslich ein. Es dauert nicht lange, bis sie die wohl geordnete Beziehung und das durchgeplante Leben von Karl und Karrierefrau Eva durcheinanderbringt und sich die Drei in einem Strudel aus Beziehungskrise, Eifersucht und gegenseitiger Demütigung wiederfinden.

Foto: wita/Müller

Wenn in die Beziehung Leerlauf eingekehrt ist, kann das Auftauchen eines Dritten für heftige Reaktionen sorgen: zu sehen im Theaterstück “ Die Eisvögel“ mit (v.l.) Elif Esmen (Eva), Gregor Müller (Karl) und Michelle Brubach (Josi). wita/Müller

Das ist die Ausgangssituation im Stück “ Die Eisvögel“ der Berliner Autorin Tine Rahel Völcker, das die Studenten der Abschlussklasse Mai 2009 der Wiesbadener Schule für Schauspiel mit der Premiere an diesem Donnerstag, 16. April, auf die Bühne der Schule im Georg-Buch-Haus bringen.

Zusammen mit Regisseur Martin Plass, der gemeinsam mit Verena Plümer die Schule leitet, haben die drei Schauspieler Elif Esmen, Michelle Brubach und Gregor Müller dieses Kammerspiel erarbeitet. “ Nach den großen Produktionen, die wir zuletzt gespielt haben – bei Dantons Tod waren über 20 Schauspieler auf der Bühne – sind wir froh, jetzt etwas in diesem kleinen Rahmen machen zu können. Karl und Eva sind seit der Schule zusammen, verfolgen ihre Karrieren und in ihre Beziehung ist Leerlauf eingekehrt. Durch den Einbruch Josis in diese fest gefügte Welt gerät alles aus den Fugen“ , beschreibt Plass den Charakter des Stücks.

Ausgewählt wurde es auch, weil es die drei Schauspieler vor neue Herausforderungen stellt. “ Einige Aspekte der Josi sind mir sehr fremd. Ich kann hier üben, ganz weit weg von mir zu sein“ , beschreibt Michelle Brubach das Besondere ihrer Rolle. Für Elif Esmen liegt der Knackpunkt nicht nur darin, die toughe Managementfrau Eva herauszuarbeiten: “ Wenn man mit 20 Mann auf der Bühne steht, fällt ein schlechter Tag nicht so ins Gewicht. In einem Dreipersonenstück kann sich niemand verstecken oder zurücknehmen.“ Gregor Müller reizen die klare Sprache und die kurzen, prägnanten Dialoge, die dem Stück ein enormes Tempo verleihen.

“ Man kann mit so einem Stück durchaus scheitern, aber ich bin nach dem bisherigen Probenverlauf sehr zuversichtlich“ , bescheinigt Plass seinen Studenten, dass sie ihre Aufgaben lösen. Dabei haben die drei derzeit eigentlich schon genug zu tun, legen sie nach drei Jahren Ausbildung doch Anfang Mai ihre Abschlussprüfung ab. Doch diese Abschlussproduktion ist ganz bewusst ins Konzept der Ausbildung integriert. “ Die Studenten erleben hier mit regelmäßigen Proben und mehreren Aufführungen ganz normale Theaterbedingungen, wie sie sie auch später in ihrem Beruf vorfinden werden“ , erläutert Verena Plümer das Konzept.

Wie das Ergebnis ausfällt, können Wiesbadener Theaterfreunde im April und Mai herausfinden. Die Premiere ist am kommenden Donnerstag, 16. April, um 20 Uhr in der Wiesbadener Schule für Schauspiel in der Wellritzstraße 38.

“ Die Eisvögel“ : Premiere am 16. April. Weitere Vorstellungen: 17. und 19. April sowie 8., 10., 15. und 17. Mai.

Wiesbadener Kurier vom 11.04.2009

Beziehungskrimi im Würfel
Wiesbadener FH-Studenten bauen Bühnenbild für die Schauspielschule
von Marianne Kreikenbom

In der Wiesbadener Schule für Schauspiel (WSfS) hat am Donnerstag, 16. April, das Drei-Personen-Stück “ Die Eisvögel“ von Tine Rahel Völcker Premiere. Ein Kammerspiel, mit dem sich die drei Absolventen des Jahrgangs 2/06 nach dreijähriger Ausbildung mit dem Zeugnis der Bühnenreife verabschieden. Das Bühnenbild stammt von Innenarchitekturstudenten der Fachhochschule Wiesbaden und wird derzeit in der BauHaus-Werkstatt angefertigt. Schauspielschule und BauHaus-Werkstatt sind Nachbarn im Georg-Buch-Haus in der Wellritzstraße.

Theja Schindler, Stefanie Fernsemer und Philipp Sakoucky stehen vor der Tafel mit ihren Zuschnittlisten. Eigentlich haben sie zu fünft an den Bühnenbildentwürfen gearbeitet, erzählt Stefanie Fernsemer. Aber Lucy Vonrhein und Michael Henning sind verhindert und diesmal nicht in der Werkstatt. Das Bühnenbild der fünf Fachhochschul-Studenten ist kein Bild, sondern ein zerlegbarer Würfel von 2,20 Meter Seitenlänge. Er setzt sich aus vielen kleineren Würfeln zusammen und bildet unterschiedliche Spielflächen.
Das Stück erzählt vom Filmkomponisten Karl, der eine junge Frau namens Josi am Selbstmord hindert. Er begegnet ihr auf einem seiner Abendspaziergänge am See im Wald und bringt sie in sein Haus. Seine Frau Eva scheint nichts dagegen zu haben, dass Josi länger als nur eine Nacht bleibt. Ein spannender Beziehungskrimi beginnt. Das Würfel-Haus – für Regisseur Martin Plass ist es ein “ gepflegtes Schöner-Wohnen-Heim“ – avanciert zum Dreh- und Angelpunkt des Geschehens.

Auf einer der BauHaus-Werkbänke liegen nummerierte Spanplatten. “ Die haben wir gestern nach Vorlagen der Studenten zugeschnitten“ , sagt Helge Bayon vom BauHaus-Team. Er tupft Leim auf den Innenrand eines offenen Kastens. Martin Plass begutachtet einen der würfelförmigen Stühle, tippt gegen die Lehne und fragt, ob man da hinein noch einen offenen Griff sägen könne. Dann lasse sich der Stuhl besser auf der Bühne bewegen.

Foto: wita/Uwe Stotz

In der BauHaus-Werkstatt entsteht zurzeit das Bühnenbild für “ Die Eisvögel“ . Hier Philipp Sakoucky, Theja Schindler und Stefanie Fernsemer (von links) bei der Arbeit.
Foto: wita/Uwe Stotz

Insgesamt drei Entwürfe hätten die Studenten vorgelegt. “ Wir haben uns ziemlich schnell auf den Würfel geeinigt, auch wenn der See dabei ein bisschen zu kurz kommt“ , sagt Plass. Gemeinsam mit Dr. Verena Plümer leitet er die Schauspielschule. Eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Innenarchitektur könne er sich in Zukunft gut vorstellen. Für diesmal habe sie sich allerdings spontan ergeben. Gregor Müller, Darsteller des Karl, ist mit einem der Innenarchitekturstudenten befreundet.
“ Wir fanden die Aufgabe interessant und für uns nicht alltäglich“ , berichtet Philipp Sakoucky und hebt den Wert der unmittelbar praktischen Arbeit hervor. Intensiv haben sich die fünf mit dem Stück auseinandergesetzt. “ Unsere Idee war, dass im Verlauf des Stückes die Würfel von den Mitwirkenden nach und nach herausgenommen werden und das scheinbar feste und harmonisch gefügte Gebäude auseinanderbricht“ , erläutert Theja Schindler. “ Unser Bühnenbild sollte Inhalt und Aussage des Stückes visualisieren.“

Nebenan stehen die drei Hauptdarsteller Gregor Müller (Karl), Michelle Brubach (Josi) und Elif Esmen (Eva) sowie Schauspielschülerin Daniela Fonda mit elektrischen Schraubendrehern bewaffnet und fügen Würfel zusammen. “ Die Eisvögel“ sind nicht nur eine schauspielerische, sondern auch eine handwerkliche Herausforderung.

Wiesbadener Tagblatt vom 20.01.2009

Gerne Gretchen oder Cleopatra
Die Jungschauspielerin Jasaman Roushanaei zieht es zu den Klassikern
von Marianne Kreikenbom

WIESBADEN. Mit dem “ Prädikat der Bühnenreife“ beendete Jasaman Roushanaei kurz vor Weihnachten ihre dreijährige Ausbildung an der Wiesbadener Schule für Schauspiel. Ab März ist die frisch gebackene junge Schauspielerin auf der Bühne des Kleinen Hauses in Wiesbaden zu sehen.

Geboren wurde Jasaman Roushanaei im Iran. Als Fünfjährige kam sie mit ihren Eltern nach Deutschland, wo sie in Worms aufwuchs. Schon als kleines Mädchen habe sie leidenschaftlich gern auf einer Bühne gestanden und Theater gespielt, in der Schule zum Beispiel. “ Für mich war es gar keine Frage, dass ich jemals etwas anderes machen würde“ , bekennt sie.

Im Internet hat sie nach einer Schauspielschule gesucht und sich schließlich für die in Wiesbaden entschieden. “ Hier gibt es eine dreimonatige Probezeit, bevor man die Aufnahmeprüfung absolviert, das ist eine tolle Sache, habe ich gedacht.“ So könne man sehen, wie es läuft und ob die Ausbildung das Richtige für einen sei. “ Man geht entspannter in die Aufnahmeprüfung.“
Was haben ihre Eltern zur Berufswahl gesagt? Anfangs seien da schon einige Bedenken aufgetaucht, vor allem wegen der großen Konkurrenz, erzählt Jasaman Roushanaei. “ Aber sie haben dann die ganze Zeit wie ein Fels hinter mir gestanden, mir Mut gemacht und immer an mich geglaubt.“ Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern hätte sie die Ausbildung nicht aufnehmen und beenden können. Zweimal im Jahr bringt die Wiesbadener Schauspielschule eine eigene Inszenierung heraus. Regie führen im Wechsel Martin Plass und Dr. Verena Plümer. Beide teilen sich auch die Leitung der 1952 gegründeten Schule. Produktionen und Projekte bieten den Schauspielschülern die Möglichkeit, sich in vielen unterschiedlichen Rollen auszuprobieren. Das Spektrum reicht von Lesungen und Improvisationen bis hin zu Stücken der klassischen und der modernen Theaterliteratur. Darüber hinaus bestehen gute Kontakte zum Wiesbadener Staatstheater und zum ZDF, dessen Besetzungsbüro sich gern und regelmäßig meldet, wenn kleinere Rollen – etwa in der Krimi-Serie “ Ein Fall für zwei“ – zu vergeben sind. Mehrere Schauspieler des Staatstheaters sowie dessen Dramaturgin Carola Hannusch unterrichten an der Schule.
Jasaman Roushanaei hat in zahlreichen Produktionen ihrer Schauspielschule mitgewirkt. Sie war der Herzog von Venedig in Shakespeares “ Othello“ , der Danton in Georg Büchners “ Dantons Tod“ und die Antiope in Verena Plümers Bearbeitung der Euripides-Tragödie “ Die Troerinnen“ . Tobias Materna, bis Ende der Spielzeit 2007/08 Leiter der Wartburg, besetzte sie als Lieschen in seiner Urfaust-Inszenierung.

Jasaman Roushanaei (RMB/Friedrich Windolf)
Die gebürtige Iranerin und in Worms aufgewachsene Jasaman Roushanaei hat die Wiesbadener Schauspielschule mit Erfolg absolviert.RMB/Friedrich Windolf
Die Freude war groß, als Materna anrief und ihr die Rolle der Stewardess in “ Funkenflug“ von Tena Stivcic anbot. Als Gast inszeniert er das Stück am Kleinen Haus des Staatstheaters. Premiere ist am 7. März. “ Es geht um Geschichten und Schicksale von Menschen, die unfreiwillig auf einem Flughafen gestrandet sind.“
Was wären ihre Traumrollen? Jasaman Roushanaei muss nicht lange überlegen. “ Die Cleoptara aus Shakespeares `Antonius und Cleopatra´ , die Laura aus Tennessee Williams´ `Glasmenagerie´ und das Gretchen aus Goethes `Faust´.“ Eine Agentur werde sie sich demnächst suchen und sich überall bewerben “ Ich mache alles gern: Film, Theater, Sprecherjobs.“ Man lerne immer etwas dazu und nie aus.
An eine Erfolgsformel glaubt sie nicht. Ja, es sei ein hartes Geschäft, räumt sie nachdenklich ein. “ Manche geben vielleicht zu schnell auf.“ Irgendwann möchte sie so gut im Geschäft sein und so ernst genommen werden, dass sie zu recht sagen kann: Ich bin Schauspielerin.

Wiesbadener Kurier vom 17.12.2008
Von den Folgen des Krieges
Premiere der Wiesbadener Schauspielschule: Euripides “ Die Troerinnen“
Marianne Kreikenbom

In der Inszenierung von Verena Plümer feierte das Euripides-Stück “ Die Troerinnen“ in der Schauspielschule Wiesbaden seine Premiere. Die Produktion mit Schülerinnen und Schülern der Abschlussklasse ist rundum eine Meisterleistung, die sich dem antiken Autor und ausnahmslos allen Mitwirkenden verdankt.

Nach Aischylos und Sophokles zählt Euripides (485/480 bis 406 v. Chr.) zum Dreigestirn der großen griechischen Tragödiendichter. Im Mittelpunkt seiner 415 v. Chr. uraufgeführten “ Troerinnen“ , stehen die Folgen des zehnjährigen Krieg der Griechen um Troja. In einer von Männern bestimmten Gesellschaft wie der griechischen spiegelt Euripides vergangenes und gegenwärtiges Geschehen aus Sicht der Frauen, die als traumatisierte Opfer überlebt haben.

Einzeln werden sie als Sklavinnen an die griechischen Sieger verlost. Die unbeugsame, aber gebrochene Königin Hekabe (Johanna Genther) kommt an den verhassten Odysseus. Im Trojanischen Krieg hat sie ihren Mann und alle ihre Kinder verloren, unter ihnen Paris und Hektor. Nur Tochter Kassandra, die Seherin, ist ihr geblieben. Rache schwörend, lässt sich Kassandra (Soraya Mezher) nach Griechenland bringen.

Andromache (Greta Carl), Hektors Witwe, muss den Griechen ihr Kind ausliefern. Sie töten den vermeintlich gefährlichen kleinen Thronfolger, indem sie ihn vom Turm der Stadt Troja werfen. Überzeugend spielt Greta Carl die ohnmächtige Verzweiflung der Andromache, die von Talthybos das ihrem Kind bestimmte Schicksal erfährt. Steven Gänge verleiht dem Talthybos die tragische Gestalt eines zwischen Pflichterfüllung und Mitleid schwankenden Überbringers furchtbarer Nachrichten.

Eine der stärksten Szenen dieser Aufführung ist die Verteidigungsrede der vermeintlich am Krieg schuldigen schönen Helena (Linda-Marie Runkel), auf die sich die Troerinnen wütend stürzen. Selbstbewusst beansprucht Helena das Recht auf ihre Liebesbeziehung mit wem auch immer. Menelaos (Christian Schwarz), der gehörnte Ehemann, wird Helena die Affäre mit Paris verzeihen. Ein Krieg wofür? Am Ende bleiben die Verzweiflung der Melinoe (Sabrina Caramanna) und die traurigen Worte der Antiope (Jasaman Roushanaei): “ Es gibt kein Troja mehr.“

Atemlose Stille herrscht im Saal. Gemeinsam mit ihren Akteuren gelingt Regisseurin Verena Plümer das Kunststück, den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Minute aufrecht zu halten, ohne dass der Text in aneinandergereihte Monologe zerfällt. Behutsam und maßvoll hat sie die Originalfassung bearbeitet und die Sprache der heutigen angeglichen. Wer einen Klassiker der antiken Tragödie zeitgemäß, aber ohne vordergründigen Schnickschnack so auf die Bühne bringen will, dass er sein Publikum erreicht, der schaue sich diese Inszenierung an. Erwähnt sei noch, dass alle acht Schauspieler ihre Abschlussprüfungen glänzend bestanden haben.

Wiesbadener Tagblatt vom 19.04.2008
Johanna spielt die schöne Leiche
Ein Fall für zwei…mal fünf Wiesbadener Schauspielschüler in Frankfurt

Seit Dienstag dreht die Wiesbadener Odeon TV fürs ZDF eine neue Folge der Krimi-Reihe “ Ein Fall für zwei“ . Ihr Titel lautet “ Die Indizienfalle“ . Mit von der Partie sind Schüler der Schauspielschule Wiesbaden. Deren Leiter Martin Plass lud uns zu den Dreharbeiten in Frankfurt ein. Regisseur Patrick Winczewski war erfreut über das Interesse, vor allem aber über die Leistungen des Schauspielnachwuchses.
Von Marianne Kreikenbom

Als Plass gegen 18 Uhr mit seiner Truppe auf dem Frankfurter Rebstockgelände ankommt, ist es sommerzeitlich noch hell, aber winterlich kühl. Wohnwagen und Technikfahrzeuge parken auf den Wegen. Bis 1936 befand sich hier der alte Frankfurter Flughafen. Ein Graben mit Brücken zieht sich durchs Gelände. An einer der Brücken steht ein Kamerakran, ein Stück entfernt ein Flutlichtstrahler, in der Nähe sind mehrere Scheinwerfer.

Zum Aufwärmen gibt es zwei Zelte, heißen Kaffee oder Tee und bei Bedarf eine dicke Steppjacke aus der Garderobe. Eine Frau kommt auf die Schauspielschüler zu. “ Ich gehöre zur Maske und brauche die Leiche“ , sagt sie. Johanna Genther meldet sich und verschwindet mit der Frau in einem der Wohnwagen. Deutlich blasser als vorher erscheint sie später wieder. Sie sei erdrosselt worden, antwortet sie auf die Frage nach der Todesart.

Greta, Linda, Johanna, Christian und Ali – strahlende Wiesbadener Schauspielschüler bei ihrem ersten Dreh vor Fernsehkameras. In ein paar Monaten werden sie zu sehen sein in “ Ein Fall für zwei“ . Die Folge heißt: “ Die Indizienfalle“ .
Fotos: Martin Plass

Aber noch ist es nicht dunkel genug für einen Mord im Park. Zunächst betritt Paul Frielinghaus alias Dr. Markus Lessing die Szene respektive die Brücke über den Graben. Er ist – Krimifreunde wissen das – Anwalt und als solcher Arbeitgeber von Privatdetektiv Josef Matula, der an diesem Abend am Rebstock nicht mitspielt.

“ Drehen heißt vor allem warten“ , sagt Plass und muss es wissen. Schließlich ist er selbst gelernter Schauspieler und hat viel fürs Fernsehen gearbeitet. Für Greta Carl und Linda Runkel ist es die erste Erfahrung mit dem Medium. An der Schule proben sie gegenwärtig mit Martin Plass “ Dantons Tod“ von Georg Büchner: Greta in der Rolle des Robespierre, Linda als Lucile. Auch Christian Schwarz und Ali Murtaza spielen in der neuen Schulinszenierung mit. Zuletzt waren sie als Cassio respektive Jago in Shakespeares “ Othello“ zu sehen.

Für den Fernsehdreh in Frankfurt wurden ursprünglich nur drei junge Leute gesucht. Sie sollten Betrunkene darstellen, die von einer Party kommen und im Park eine Leiche finden. “ Odeon TV rief bei uns an und fragte, ob wir die Gruppe besetzen könnten. Wir haben sofort Demo-Bänder gemacht, zwei Stunden später war die Regieassistenz bei uns“ , berichtet Plass. Nachdem Patrick Winczewski die Castingbänder begutachtet hatte, wurde das Drehbuch etwas verändert und aus der anonymen Dreiergruppe eine vierköpfige Gruppe leicht alkoholisierter, übermütiger Schauspielschüler gemacht, die aus “ Dantons Tod“ rezitieren, bis sie auf die Tote treffen.

L. Runkel

Insgesamt spielen zehn Wiesbadener Schauspielschüler in “ Die Indizienfalle“ mit. Einen Tag vor dem Frankfurter Drehtag hatten bereits fünf andere Schüler in Feickerts Wiesbadener Pudelbar als Pokerrunde vor der Fernsehkamera gestanden. Natürlich gebe es verschiedene Komparsen- Agenturen für die Besetzung kleiner Rollen, sagt Odeon-Produktionsleiter Jochen Hauff. Manchmal jedoch brauche man auch Leute mit mehr schauspielerischer Erfahrung, die trotzdem nicht gleich hochkarätige Darsteller seien. “ Die Regieassistenz fragte mich nach einer Schauspielschule in greifbarer Nähe, da habe ich ihnen die in Wiesbaden genannt“ , erzählt Hauff. Wenn es die Gelegenheit ergibt, würde er gern wieder auf sie zurückgreifen.

Linda Runkel rezitiert auf der Brücke übermütig die Worte “ Sterben – Sterben!“ aus Büchners “ Dantons Tod“

“ Unsere Schule hat ein unglaubliches Glück mit diesem Dreh und diesem Regisseur“ , ist Martin Plass überzeugt. Nicht jeder sei so begeistert bei der Sache wie Winczewski und arbeite so intensiv mit Kleindarstellern oder Schauspielschülern. Man merke, dass er selbst Schauspieler ist und ganz genau weiß, was ein Schauspieler braucht. Solche Auftritte in der Praxis seien wichtig. “ Unsere Schüler lernen den Unterschied zwischen Theater und Film oder Fernsehen kennen, sie sammeln Erfahrungen und können Kontakte knüpfen.“ Dass seine Schüler hier richtige kleine Szenen spielen, hätte Plass nicht gedacht.
Seit 1997 ist Winczewski auch als Regisseur fürs Fernsehen tätig. Nachdem er mit dreißig Folgen der Daily Soap “ Verbotene Liebe“ und 33 Folgen “ Lindenstraße“ gestartet war, drehte er unter anderem zweiundzwanzig Folgen “ Soko Leipzig“ . Bei “ Ein Fall für zwei“ führt er das erste Mal Regie. Insgesamt vierzehn Drehtage sind geplant. Bis der Film auf den Bildschirm kommt, werden allerdings drei bis vier Monate vergehen.
Gegen 21 Uhr sitzen Greta, Linda, Johanna, Christian und Ali im Zelt bei ihrer Probebesprechung mit dem Regisseur. “ Seid wer ihr seid: Schauspielschüler“ , ermuntert sie Winczewski. “ Eure Kunst besteht darin, dass ihr frei seid und zugleich bei mir, damit Ordnung in das Ganze kommt.“ Die vier legen sich ins Zeug und machen ihrer Schule alle Ehre. Schade, dass sie nicht auch am folgenden Drehtag dabei seien, meint Linda. Da ist es bereits eine halbe Stunde nach Mitternacht.

FR vom 13.3.08
von Ralf Munser

Fahrendes Volk
Die Schauspielschule zieht um ins Georg-Buch-Haus – das ist aber noch Baustelle

Die Wiesbadener Schule für Schauspiel muss ihren bisherigen Standort im Butterblumenweg 5 verlassen. Aber im neuen Domizil im Georg-Buch-Haus an der Wellritzstraße haben die Umbau- und Sanierungsarbeiten noch nicht einmal begonnen. Deshalb drohen den Schauspielschülern und ihren Dozenten mehrere Monate lang chaotische Unterrichtsverhältnisse. “ Eigentlich ist alles auf dem Weg und alle wollen, dass wir dorthin gehen. Aber es hat erhebliche Verzögerungen gegeben“ , sagt Martin Plass, der gemeinsam mit Verena Plümer die staatlich anerkannte Privatschule leitet.

Verzögerung im Parlament

Jetzt versucht die Stadtentwicklungsgesellschaft, Vermieterin des Gebäudes, der Schauspielschule zu helfen. “ Wir sind in Gesprächen mit der Montessorischule, dass die Schauspielschule bis Ende Mai bleiben darf“ , sagt Geschäftsführer Andreas Guntrum.

Die Stadtverordnetenversammlung hatte erst nach der Sommerpause im vergangenen Jahr dem Umzug der Schauspielschule in das Georg-Buch-Haus und entsprechenden Renovierungsarbeiten zugestimmt – später als geplant. “ Da hatten wir unser Mietverhältnis mit der Stadtentwicklungsgesellschaft schon längst gekündigt. Unser erster Plan war mal ursprünglich, im November 2007 umzuziehen“ , so Plass.

Bislang ist die Schauspielschule auf drei Standorte in der Stadt verteilt. Das sei aber nicht gut für die Schüler, meinen Plass und Plümer. “ Wir platzen aus allen Nähten.“ Im Georg-Buch-Haus werden rund 500 Quadratmeter Platz zur Verfügung stehen. Allerdings stand das Dachgeschoss 15 Jahre lang leer. Deshalb gibt es dort viel zu tun. Wände müssen eingerissen, Estrich verlegt, Elektrik erneuert und Verkleidungen angebracht werden. Nach derzeitigem Stand sollen die Arbeiten nach Ostern losgehen. “ Mittlerweile liegt auch eine Baugenehmigung vor“ , sagt Plass. Für den ersten Bauabschnitt rechnet Plass mit fünf Wochen Arbeitszeit, für den zweiten mit weiteren sieben. Im Sommer könnte – wenn alles klappt – die Schule also umziehen.

Händeringende Platzsuche

Und bis dahin? Plass und Plümer wissen auch nicht genau, wie es weitergehen soll. “ Wir schauen uns im Moment einzelne Räume an. Die Situation ist schwierig“ , so Plass. “ Händeringend“ wird Platz für den Unterricht gesucht, zumal sich einige der insgesamt 30 Schüler auf ihren Abschluss vorbereiten müssen. “ Der Unterricht muss irgendwie weitergehen.“

Anmerkung: Unser Raumproblem ist inzwischen gelöst. Die SEG hat unsere Duldung bis Ende Mai verlängert, der erste Bausabschnitt der neuen Räume soll in der 3. Maiwoche fertiggestellt sein, so dass wir mit dem Unterrichten beginnen können. Etwa entstehende Engpässe in den ersten Wochen können wir durch zwei für den Monat Juni angemietete Räumeauf dem Gelände der Campus Klarenthal gGmbh vermeiden. Und nach dem Sommerferien gibt es dann die große Einweihung mit Premiere unserer aktuellen Produktion “ Dantons Tod“ von Georg Büchner. WSfS

Wiesbadener Tagblatt vom 19.12.2007 (Auszug)
von Erika Noack

Einst die Martha von den Hesselbachs
Im künftigen Künstlerviertel erinnern geplante Straßennamen an bedeutende Frauen

Vom 19.12.2007

Der bauliche Fortschritt bei der Erschließung des künftigen Künstlerviertels macht sichtbare Fortschritte. Inzwischen nehmen weitere Straßen im Quartier Gestalt an. In der Maria-Sibylla-Merian-Straße, der Allee im Künstlerviertel, die den Stadtteil von Norden her erschließt, sind sogar bereits die ersten Straßenlaternen installiert worden.

Auch bei der Herta-Genzmer-Straße im Westen des Künstlerviertels hat sich viel getan. Bordsteine und Fußwege sind schon gut erkennbar. Sie verbindet die Maria-Sibylla-Merian-Straße mit dem Christa-Moering Platz. Die Namensgeberin, die Schauspielerin Hertha Genzmer, wurde 1896 in Halle geboren. Von 1922 bis 1947 war sie am Staatstheater in Wiesbaden engagiert. Außerdem hatte Sie Auftritte in Funk und Fernsehen. In der berühmten hessischen Hörfunk- und Fernsehfamilie “ Die Hesselbachs“ spielte sie die Martha. 1952 gründete sie die Schauspielschule Genzmer. 1957 erhielt sie die Goethe-Plakette. 1960 nahm sie an der Staatlichen Hochschule für Musik in Frankfurt einen Lehrauftrag an. 1962 wurde sie mit der Goldenen Ehrennadel der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen ausgezeichnet und 1966 durch die Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse geehrt. Am 2. Februar 1971 starb Hertha Genzmer in Wiesbaden.

Wiesbadener Tagblatt vom 25.06.2007
von Marianne Kreikenbom

Ernsthafter Partnertausch
Schnitzlers “ Reigen“ treppauf und treppab in der Villa Schnitzler

Johanna Genther (Stubenmädchen), Ali Murtaza (Soldat)

Verführung im Garten der Villa Schnitzler: der Soldat (Ali Murtaza) und das Stubenmädchen (Johanna Genther).
Foto: wita/Paul Müller

MaK. – Im Rahmen der Veranstaltungen zum Wiesbadener “ Jahr des Historismus“ hatte am Samstagabend in der Villa Schnitzler die Komödie “ Reigen“ des Wiener Autors Arthur Schnitzler (1868-1931) ihre Premiere. Eine Inszenierung der Schauspielschule Wiesbaden, unterstützt von der Volkshochschule.

Kurz vor Beginn der Vorstellung hoffen alle, dass es nicht regnet. Die ersten beiden Szenen finden im Garten der Villa Schnitzler statt. Die Schirme stehen griffbereit. Eine Blondine ganz in Rot spaziert vor der Veranda auf und ab. “ Komm, mein schöner Engel“ , lockt die Dirne (Sabrina Caramanna) den Soldaten (Ali Murtaza). Wenig später steht er mit dem Stubenmädchen Marie unterm Apfelbaum. Er zieht sie ins Gebüsch. “ Sag wenigstens, hast mich gern?“ , will Marie “ danach“ wissen.

Schnitzlers Stück ist eine zyklisch angeordnete Szenenfolge in zehn Dialogen mit insgesamt zehn Figuren. Geschildert werden zehn Begegnungen sexueller Art. Gewissermaßen im fliegenden Wechsel wird am Ende jeder Szene einer der Partner ausgetauscht und die soziale Leiter munter auf- und abgestiegen.

Der Liebesreigen beginnt mit der Dirne und dem Soldaten, dreht sich weiter zum Soldaten und dem Stubenmädchen (Johanna Genther), das an den jungen Herrn (Gregor Müller) gerät und der junge Mann an eine verheiratete junge Frau (Linda Runkel), die sich von ihrem Ehemann (Christian Schüler) sexuell vernachlässigt fühlt. Der Gatte seinerseits hat ein “ süßes Mädel“ (Soraya Mezher) an der Hand, das mit einem Dichter (Christian Schwarz) anbandelt, der ein lustvolles Wochenende mit einer Schauspielerin (Jasaman Roushanaei) verbringt.

Die Schauspielerin wiederum begehrt einen Grafen (Steven Gänge), der im Vollrausch bei der Dirne vom Beginn des Spiels landet, worauf sich der Reigen schließt, aber unendlich fortsetzbar wäre. Zehnfach variiert, wiederholt sich das vom Trieb bestimmte Ritual der Verführung. Unterwürfigkeit, Naivität, Schamlosigkeit, Spaß am Abenteuer, eheliche Pflichterfüllung, Verstellung und zynisches Raffinement sind die Voraussetzungen, die Mann oder Frau zum Ziel führen.

In den Jahren 1896/97 geschrieben, aber erst 1920 am Kleinen Schauspielhaus Berlin uraufgeführt, begleiten Skandale und Fehlinterpretationen die Rezeptionsgeschichte des Stückes. Unzucht und Erregung öffentlichen Ärgernisses warf man den Schauspielern 1921 im “ Reigenprozess“ vor. Die gängige, aber undifferenzierte Einordnung ins Genre “ erotische Literatur“ gehört bis heute zu den Missverständnissen.

Martin Plass und Verena Plümer, das Leitungs- und Regieduo der Wiesbadener Schauspielschule, entgehen solcher Gefahr. Sie nehmen das Stück ernst, rücken neben dem Animalischen und Leichten des Spiels auch das tragische Moment der Oberflächlichkeit und Vergänglichkeit in den Blick.

Ihre “ szenische Reise“ führt die aus Platzgründen begrenzte Zuschauerschar treppauf und treppab durch die Villa. Zwei adrette Stubenmädchen (Michelle Brubach und Elif Esmen) übernehmen die Führung. Mit Spieluhr und Staubwedel bewaffnet, stellen sie sich “ g´schamig“ vor jeden – angedeuteten – Liebesakt. Zwischendurch singt Judith Wollstädter als Gast innige Lieder aus Operetten von Robert Stolz und Franz Lehár. Fünf weitere Vorstellungen sind bereits ausverkauft.

Wiesbadener Tagblatt vom 26.03.2007
von Marianne Kreikenbom

Lehre in Grenzüberschreitung
Jung-Schauspieler Bülent Özdil träumt vom festen Engagement

Wir verabreden uns vor der Wartburg, der Außenspielstätte des Wiesbadener Staatstheaters. Das passt, finde ich, denn mein Gesprächspartner Bülent Özdil – im vergangenen Dezember frisch gebackener Absolvent der Wiesbadener Schule für Schauspiel – probt hier seit Anfang März unter der Regie von Tobias Materna das Stück “ Clockwork Orange“ nach dem Roman von Anthony Burgess. Fünf kleine Rollen hat Bülent Özdil darin als Gast übernommen. Am 21. April ist Premiere.

Bülent Özdil
Als Sohn türkischer Eltern von fränkischer Bauernfamilie perfekt integriert: Bülent Özdil.Foto: wita/Uwe Stotz

Wer Goethes “ Urfaust“ in der Wartburg gesehen hat, der erinnert sich vielleicht an Gretchens Bruder Valentin. Mit der Rolle debütierte Özdil im Januar 2006 noch während des Schauspielstudiums. Vorausgegangen war 2004 eine Regieassistenz in Maternas Inszenierung der finnischen Handy-Komödie “ Mobile Horror“ . Außerdem – aller guten Dinge sind vier – stand Özdil in der Rolle des Jimmy aus John Osbornes “ Blick zurück im Zorn“ auf der Wartburg-Bühne. Das allerdings war ein Gastspiel der Schauspielschule, die alljährlich im Frühjahr und Herbst ein Stück mit ihren Abschlusskandidaten in den Hauptrollen inszeniert und öffentlich vorstellt. Diese Möglichkeit in der Wartburg zu gastieren, ist ein Glücksfall und der guten Zusammenarbeit zwischen Schauspielschule und Theater zu verdanken.

Bülent Özdil wurde 1981 als Kind türkischer Eltern in Rothenburg ob der Tauber geboren. Aufgewachsen ist er in Bad Windsheim, einer Kurstadt zwischen Würzburg und Nürnberg. “ Meine Eltern sind Anfang der 70er Jahre als ganz klassische Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und haben sich hier kennen gelernt.“

Der 26-Jährige spricht ein so lupenreines Deutsch, dass man die Frage nach der Muttersprache glatt vergessen könnte und sie gerade deshalb dann doch stellt. “ Da meine Eltern voll berufstätig waren, bin ich in einer fränkischen Bauernfamilie groß geworden und habe dort alle Gepflogenheiten der deutschen Sprache mitbekommen.“ Er habe “ eine zutiefst deutsche Erziehung in Kombination mit türkischer Kultur“ hinter sich und sei perfekt integriert worden. Dass er damals lieber Deutsch als Türkisch sprach, bedauert er inzwischen ein bisschen. Klar könne er sich auch auf Türkisch verständigen, aber längst nicht so gut wie in deutscher Sprache.

Nicht anders als die meisten deutschen Mütter und Väter wollten auch Bülents Eltern ihrem Kind eine gute Ausbildung mit auf den Lebensweg geben. Ihr Sohn sollte studieren. Er entschied sich für Anglistik und ging nach Erlangen. Es blieb eine Stippvisite, denn schon nach der ersten Vorlesung sei die Sache für ihn erledigt gewesen. Diese Art des Studierens ohne äußere Disziplin lag ihm nicht. “ Meine Mutter fragte mich dann eines Tages, was ich wirklich will, und als ich antwortete `Schauspieler werden`, war das in Ordnung.“ Manchmal, fügt er lächelnd hinzu, müsse man eben einfach nur über seine Wünsche reden. “ Als meine Eltern merkten, dass es mir nicht um Berühmtheit und vermeintlichen Reichtum geht, sondern um Leidenschaft, waren sie überzeugt und haben mich unterstützt.“

Was heißt Leidenschaft? Die Lust und Möglichkeit, etwas darzustellen, das man persönlich nie tun würde, jemanden zu spielen, der man eigentlich nicht ist. “ Wenn ich eine Rolle studiere, erfinde ich eine Figur, schaue in meine eigene Persönlichkeit hinein und versuche sie dieser Figur anzupassen oder sich ihr anzunähern, dabei überschreite ich Grenzen, die spannender sind als das Privatleben im Allgemeinen.“ Nützen einem beim Schauspielen persönliche Erfahrungen wie zum Beispiel eine unglückliche Liebe? “ Erfahrungen können helfen, aber eine all zu große Befangenheit in der eigenen Persönlichkeit wäre falsch, schließlich haben wir ein Handwerk gelernt, mit dessen Hilfe wir ganz andere Menschen als uns selbst darstellen können.“ Was sind Grenzüberschreitungen der eigenen Persönlichkeit? “ Die Darstellung von Gewalt.“

An der Schauspielschule erhalte man gewissermaßen eins zu eins das Rüstzeug und erfahre Schauspiel gleichsam in seiner natürlichen Grundform, ohne die individuelle Prägung durch eine bestimmte Richtung der Regiearbeit. Den Umgang mit verschiedenen Inszenierungskonzepten lerne man in der Theaterpraxis. “ Ich habe das Glück, meine ersten Berufserfahrungen hier in Wiesbaden als Gast an einem großen Theater machen zu können.“ Nicht überall gilt das allerdings als ein Vorteil. Bei einem Vorstellungsgespräch weitab der hessischen Landeshauptstadt schien der Intendant – aus welchem Grund auch immer – wenig begeistert. “ Ich bin nicht einmal zum eigentlichen Vorsprechen gekommen.“

Insgesamt hundertachtzig so genannte Blindbewerbungen hat Özdil bundesweit verschickt. Die Adressen stammen aus dem Theaterjahrbuch. Rund siebzig Antworten stehen noch aus. Man benötigt eine gehörige Portion Durchsetzungsvermögen, gesundes Selbstvertrauen und ein dickes Fell, weiß Özdil inzwischen. Ist das anders als etwa bei einem Bankkaufmann? “ Bewerbung und Ablehnung reichen in meinem Beruf sehr weit ins Persönliche hinein, weil man ja als Typ beurteilt und auch abgelehnt wird, aber das darf man möglichst nicht zu nah an sich heranlassen.“ Sicher könne man mit ihm nicht alles besetzen. “ Mit dunklem Haar und dunklen Augen bin ich nicht unbedingt der klassische Held.“ Fürs Vorsprechen am Theater hat er in der Schauspielschule unter anderem die Rolle des Gustav Mahler in Joshua Sobols Polydrama “ Alma – A Show Biz ans Ende“ einstudiert und den Marquis Posa aus Schillers “ Don Carlos“ .

Mit einem erstaunten “ Wow, Schauspieler!“ reagieren Gleichaltrige oft, wenn sie hören, was Özdil so treibt. “ Die meisten denken dabei an TV-Soaps und nicht ans Theater.“ Nein, eine Seifenoper im Fernsehen muss es für ihn nicht sein. Sein Traumziel wäre, mit Film und Fernsehen den Lebensunterhalt zu verdienen und ansonsten fest an einem Theater zu arbeiten. “ Wer Schauspieler gelernt hat und den Beruf liebt, wird nichts anderes mehr machen wollen als spielen.“

Wiesbadener Kurier vom 10.03.2007 (Auszug)

Schauspieler können kommen

hol. WIESBADEN Die Kämmerei hat schon zugestimmt, und auch beim Ortsbeirat Westend fand das Konzept fürs Dachgeschoss des Georg-Buch-Hauses großen Anklang. Einstimmig hat der Beirat die Pläne befürwortet, dort Platz für die Wiesbadener Schule für Schauspiel (früher Schauspielschule Genzmer) zu schaffen. Projektleiterin Dagmar Landler-Krämer vom Wohnungsamt stellte dem Gremium vor, was unter dem Dach des Hauses passieren soll. Die Schauspielschule wird sich dort komplett niederlassen (inklusive Verwaltung). Bis dies soweit ist, sind noch einige Ausbauarbeiten zu leisten, auch Leitungen – sie liegen bereits – müssen angeschlossen werden. Ortsvorsteher Michael Bischoff (SPD) und seine Mitstreiter hoffen, dass noch im laufenden Sitzungszug alle notwendigen Beschlüsse gefasst werden, damit möglichst bald mit den Ausschreibungen für die Arbeiten gestartet wird.

Wiesbadener Tagblatt vom 26.02.2007
von Marianne Kreikenbom

Die Chance, sich auszuprobieren
Zwei Diplome in der “ Hellen Nacht“ der Wiesbadener Schauspielschule

Soraya Mezher
Foto: wita/Uwe Stotz

Zu einem langen Wochenende startete die Wiesbadener Schule für Schauspiel am vergangenen Donnerstag im Bürgersaal des Georg-Buch-Hauses: An vier aufeinander folgenden Abenden gaben Schauspielschüler verschiedener Jahrgänge nicht nur Proben ihrer Talente, sondern mit Lesungen und Kurzszenen auch Einblicke in ihre Ausbildung.
“ Helle Nacht“ hieß das Programm am Samstagabend. Gezeigt wurden Resultate von Regieworkshops und Gruppenprojekten, in denen sich die Schauspielschüler eigenständig kurze Szenen zu einem vorgegebenen Thema erarbeitet hatten – ohne Mitwirkung der Dozenten. “ Ein Experiment“ , erklärte Martin Plass, der gemeinsam mit Dr. Verena Plümer die Schauspielschule leitet. “ Wir wollten unseren Schülern die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren.“ Lernen kann man dabei allemal.

Nacht, so lautete das vorgegebene Thema. In der szenischen Umsetzung war sie meist dunkel statt – wie im Titel behauptet – hell. Liebe und Tod, Einsamkeit und Unglück – hier und da mit Lichtblicken – bestimmten Textauswahl und Szenencollagen. Am Anfang und am Ende des Programms stand wie eine Klammer je eine ironisch-hintergründige Szene, in der zwei Selbstmörderinnen respektive ein Selbstmörder mit einem mephistophelischen respektive koboldartigem Nichts (Jasaman Roushanaei und Johanna Genther) konfrontiert werden. Eine durchaus ernüchternde, aber sinnlose Erkenntnis, wie der “ letzte“ Selbstmörder des Abends (Gregor Müller) feststellte. Als untrennbare Einheit erschienen Tag (Linda Runkel) und Nacht (Greta Carl) im Zitaten-Dialog, das Dunkel bedrohlich und beherrschend in einer spannungsreichen Tanzszene (Linda Runkel und Elif Esmen). In Erinnerung blieben die persiflierte Hexenküche aus Goethes Faust und Julias modernisierter Auftritt ohne Romeo, dafür mit dem verliebten Faust im Schlepptau. “ Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause geh´n“ , wehrte sich das aus dem Schlaf erwachte Julia-Gretchen.

Zwei, die nicht mehr zur Schule gehen, sondern im Dezember ihre Abschlussprüfung erfolgreich bestanden haben, saßen entspannt im Publikum: Anna Habeck und Bülent Özdil. Zum krönendem Abschluss der “ Hellen Nacht“ erhielten sie aus den Händen von Verena Plümer ihr Zeugnis der Bühnenreife. Anfang November hatten beide in John Osbornes Drama “ Blick zurück im Zorn“ – einer Eigenproduktion der Wiesbadener Schauspielschule – auf der Wartburg-Bühne des Staatstheaters gestanden. Bülent als Jimmy Porter und Anna als dessen Frau Arison – Hauptrollen für die Abschlusskandidaten. “ Bleibt offen, mutig und immer bereit, euch neu auszuprobieren“ , gab ihnen Verena Plümer mit auf den nicht einfachen Weg in den Schauspielerberuf. Bülent ist derzeit in Tobias Maternas Wiesbadener Urfaust-Inszenierung (Wartburg) als Gretchens Bruder Valentin zu sehen. Demnächst beginnen seine Proben für “ Clockwork Orange“ ebenfalls in der Wartburg und unter Maternas Regie. “ Ich bin jetzt eine freie Schauspielerin“ , sagte Anna Habeck lächelnd. Sie hat bereits einen Kurzfilm gedreht und freut sich auf ihr siebenmonatiges Engagement als Pirat und mittelalterliche Magd im Leipziger Vergnügungspark Belantis. Sie habe noch viele andere Pläne, verrät sie. Und von Leipzig nach Berlin sei es auch nicht weit.

Wiesbadener Tagblatt vom 21.02.2007
von Marianne Kreikenbom

Mehr Platz für Schauspieler

Vom 21.02.2007

Die Wiesbadener Schauspielschule auf dem Freudenberg platzt aus allen Nähten. Von einem Umzug ins Georg-Buch-Haus (Wellritzstraße 38) war Ende vergangenen Jahres die Rede. Nach dem aktuellen Stand fragten wir Martin Plass, der gemeinsam mit Dr. Verena Plümer die Schule leitet.

Sind die Umzugskisten schon gepackt?
Plass: Leider nicht. Aber in der Hoffnung, dass bald eine Entscheidung für unseren Umzug fällt, haben wir den Mietvertrag für die Räume im Haus am Butterblumenweg gekündigt, da er sonst automatisch um zwei Jahre verlängert würde. Es gibt ja von verschiedenen Seiten positive Signale für unseren Umzug ins Dachgeschoss des Georg-Buch-Hauses.
Welche positiven Signale meinen Sie?
Plass: Der Ortsbeirat Westend und das Wohnungs- respektive Liegenschaftsamt zum Beispiel befürworten den Umzug. Das Georg-Buch-Haus steht seit etwa zehn Jahren leer. Wir wären eine gute Lösung und in der Wellritzstraße – mitten in der Stadt – auch genau richtig. Es wäre toll, wenn wir am 15. März auf die Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung kämen und es eine Entscheidung gäbe. Sonst können wir nicht planen.
Außer mehr Platz für die Schule suchen Sie auch eine eigene Spielstätte. Reicht die Bühne im Georg-Buch-Haus nicht?
Plass: Der Bürgersaal steht zahlreichen Veranstaltern zur Verfügung, so dass wir Auftritte langfristig planen müssten. Außerdem könnten wir unsere Technik nicht dauerhaft installieren. Andererseits ist die Einrichtung einer eigenen kleinen Spielstätte im Dachgeschoss über dem Bürgersaal aus statischen Gründen nicht möglich.
Warum eine eigene Spielstätte?
Plass: Wir inszenieren jährlich ein klassisches und ein modernes Stück und führen es öffentlich auf. Das Spielen vor Publikum ist als Erfahrung für unsere Schüler wichtig. Mit einer eigenen Spielstätte könnten wir öfter als bisher Einblicke in unsere Arbeit geben und Eigenproduktionen vorstellen. Außerdem schweben uns ein internationales Schauspielschulfestival und Gastspiele vor. Zudem fehlt in Wiesbaden bislang eine Bühne für freie Theatergruppen, die bei uns auftreten könnten.
Gewissermaßen vorab gibt es vom 22. bis 25. Februar im Bürgersaal schon mal ein langes Wochenende mit der Schauspielschule. Was steht auf dem Programm?
Plass: Arbeitsergebnisse aus dem Rollenstudium und dem Fach Textinterpretation, aus Regieworkshops unserer Schüler und Gruppenprojekten. Unter dem Titel “ ein lichterloh brennendes Paradies“ starten wir am Donnerstag (22. Februar, 20.30 Uhr) mit einer Lesung zum Thema Erotik. Am Freitag und Samstag (23./24. Februar, jeweils 20 Uhr) folgt unsere Szenencollage “ Helle Nacht“ und am Sonntag (25. Februar, 20 Uhr) die Szenencollage “ Love is a battlefield“ . Karten zum Preis von 4 Euro (Lesung) und 8 Euro, ermäßigt 5 Euro (Szenencollagen) erhält man über Telefon 0611-303526 oder an der Abendkasse.

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